Taiwan ist ein Land im großen Umbruch. Die bäuerlichen Strukturen werden durch ein gigantisches Wachstum-Wachstum-Wachstum verdrängt.
Vor einigen Jahren gab es die Stadt Tainan in dem gleichnamigen Landkreis. Durch den enormen Haus- und Wohnungsbau, den Platzbedarf der florierenden Industrie und dem Hunger nach Konsum dehnte sich die Stadt 2010 im Rahmen von Eingemeindungen soweit aus, dass Tainan heute gleich dem Landkreis ist. Ein Sprung von ca. 880.000 auf 1,9 Millionen Einwohner und von 175 km2 auf 2.191 km2. Damit fast 2,5 mal so groß wie Berlin.

Wir wohnen aktuell neben dem Dorf Siaosinying. Die Stadtverwaltung hat alles Land ringsum herum in Areale unterteilt. Auf dem Areal L und M ist ein riesiges, modernes Wohnquartier mit breiten Straßen, einer riesigen Grundschule, einem kleinen See, kleinen, netten Geschäften und einem großen PX-Supermarkt entstanden. Umliegend und zwischendrin wird weiter gebaut.

Weil man zuerst keinen Namen für dieses synthetische Gebilde hatte, nannten alle es LM-Area. Ein Park heißt LM Children’s Park North. Irgendwie erschreckend.
Der nun offizielle Name ist ‚Liantan Village‘. Die Bauweise zwischen den Gebäuden ist vom Leerraum her deutlich großzügiger und erheblich aufwendiger. Hier kostet ein übliches Haus mit 4 Etagen schon 30% mehr als anderswo.

Wir gehen zu Fuß von Hannas & Wei Siangs Haus über Feldwegen zum Dorf Siaosinying (Xiaoxin).

Meist alte Menschen bewirtschaften die Felder. Ein frisch gehäufter Acker ist geflutet worden. Barfuß und mit einem großen Sack beladen verteilten sie Setzlinge auf die kleinen Hügel. Sie sinken tief ein, schwanken etwas und verteilen weiter. Weit hinten sehen wir zwei Hochhäuser.

Im Dorf stehen kleine bis kleinste Häuser dicht an dicht. Die Straßen sind so eng, dass schon zwei Motorroller gerade so aneinander vorbeikommen. Viele Häuser stehen leer, einige sind schon verfallen. Wären hier nicht Menschen zu sehen, käme Endzeitstimmung auf. Ganz lässt sie sich nicht verleugnen.

Kurz nach den winzigen Gassen kommen wieder Felder. Auf den Straßen dazwischen Scooter und ab und zu auch Autos. Die Feldstraße mündet an einer Ampel in eine vierspurige Hauptstraße. Vor uns seht ein aufgemotztes Gebäude. Es steht da, als wolle es den Dörflern zeigen wie die Zukunft aussehen wird.

An dem einen Hochhaus hält sich ein Kran fest. Bei genauer Betrachtung ist es ein Rohbau – ein verlassener Rohbau. Eine von den vielen Bauruinen aus der zurückliegenden Finanzkrise.

Und als wenn das alles nicht zählt, ergießt sich dahinter protzend die LM-Area.

Auch im Vergleich zu den Gebäuden, die wir auf unserem Ausflug nach Shinhua trafen, ist hier alles durchgeplant. Keine 500m Luftlinie zwischen ‚Bisher‘ und ‚Jetzt‘, zwischen den beiden Welten.

Eine der großen Straßen in LM ist so etwas wie der Boulevard. An der einen Seite der kleine See, an der anderen winzige Läden mit hochwertigen Produkten. Die meisten Cafés oder etwas für den kleinen Hunger.

Selbst der 7/eleven, der übliche ‚Kiosk an der Ecke‘, ist hier doppelt so groß, viel heller und bietet ein vielfältigeres Sortiment. LM hat gleich zwei davon.

Meine Lieblingslaufstrecke ist dann auch gleich hier in der Ecke. Bei den 10km am frühen Morgen trifft man schon auf viele Ältere im zügigen Walken und auch Menschen mit höheren Ambitionen. Morgens ist es noch frischer und die Dämmerung beginnt im Moment gegen 17:15.
Dazu gibt es noch einen separaten Bericht.