Auf die Frage wie es in Japan denn so ist, kann ich keine Antwort geben. So viele Eindrücke, Überraschendes, aus Deutschland bekanntes und eine Menge Klischees. Ich beschreibe mal einen Tagesablauf.

Kōbe hat rund 1,5 Millionen Einwohner. Die Stadt zieht sich weit an der Küste entlang, im Hintergrund immer die Berge. Die Stadt gliedert sich in sehr viele, unterschiedliche Stadtteile.
Wir wohnen nah bei den Bahnhof Sannomiya an einer größeren Straße, fußläufig auch zum Shinkansen-Bahnhof. Nicht ruhig, aber bezogen auf den Alltagslärm schon ok. Der Aufzug begrüßt mich und verabschiedet mich freundlich. In Japan spricht alles zu einem. Die gepflegte Appartementanlage verlasse ich durch ein ansprechendes Foyer. Draußen ein typisch chaotisches Straßenbild. Es gibt keine Stadtplanung in unserem Sinne. Kein Gebäude passt zum nächsten. Mal ein hohes, mal eins mit einer ästhetischen Fassade, mal ein Gebäude aus der Zeit nach dem großen Erdbeben von 1995, klein und irgendwie zusammengezimmert. Während des Zweiten Weltkriegs waren schon 50% der Stadt zerstört worden, deshalb gibt es kaum ältere Häuser.

Ich gehe den breiten Fußweg her. Links bitte, man geht links und werde gleich darauf fast von einem Radfahrer von hinten umgenietet. Radfahrer auf dem Gehweg sind die Regel. Es gibt jedoch keinen markierten Bereich für Radfahrer. Einzig an den Ampeln ist ein Zebrastreifen für Fußgänger und daneben ein Radstreifen aufgemalt. Auf dem Gehweg ist dann ‚Freie Platzwahl‘. Es fühlt sich etwas an wie in Berlin. Doch eins fällt dann im Vergleich doch auf: es gibt keinen Müll auf dem Gehweg. Klar, es gibt ja auch keine Mülleimer, es gibt draußen nie einen Mülleimer. Ist das die Lösung für Berlin?

Parkanlage für Fahrräder

Zwei Sträßchen weiter kommt der erste Kombini. Das sind kleine Supermärkte, die es an allen Ecken gibt. Manche sind über zwei Etagen.
Ich brauche Geld. Kein Problem in fast jedem Kombini steht ein Geldautomat. Ich stecke meine EC-Karte rein und aus dem internationalen Menü schalte ich auf Deutsch um. Heute nehme ich 30.000Yen. Das sind so €250. Wir gehen später noch schoppen und essen. Der Automat spuckt drei Scheine a 10.000 aus. Bargeld ist in Japan das Zahlungsmittel. Alle Automaten nehmen Scheine an, können wechseln.

In dem Kombini hole ich Milch, Toast, Butter und etwas Streichkäse. Das reicht erstmal. Ein Kunde ist noch im Laden und steht gerade an einer Kasse. An der anderen Kasse hakt der Mitarbeiter in einer Liste irgendwas ab. Ich stelle mich in einem sehr deutlichen Abstand hinter den anderen Kunden. Fast im selben Augenblick kommt der Chef vons Ganze und deutet hinter mir auf den Boden. Ah, da sind grüne, beschriftete Pfeile. Zu jeder Kasse zeigt einer. Ich soll noch weiter zurück, noch weiter. Über 2 Meter hinter mir ist ein roter Kreis mit Fußabdrücken, da soll ich warten. Kaum stehe ich auf meiner Pole Position, nickt mir Kasse 2 ganz freundlich zu. Auch eine Art Ausländer zu begrüßen.

Nach dem Frühstück ziehen wir los. Es ist etwas später geworden. Lunch time. An allen Ecken sind kleine, oft klitzekleine Möglichkeiten zum Essen. In Japan tragen alle geschäftigen Männer einen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte. Bei den Socken und Schuhen gibt es deutliche Ausreißer.
Uns überholt ein besonders eiliger in Badelatschen. Interessante Kombination. Jeans sind selten zu sehen, schon gar nicht farbige. Das Farbenbild ist eher gedeckt bis eintönig. Dadurch fällt dann der eine oder andere Mann etwa mit einem roten Hut gleich auf.

An der nächsten Kreuzung ist Rot. Alle warten. Viele Fußgängerampeln zeigen an, wie lange Rot bzw Grün ist. Total praktisch. Von irgendwoher erklingt aus Lautsprechern ein Klingklang, der mir bekannt vorkommt. Es ist die ‚Ode an die Freude‘, 12:00 Uhr, irgendeine Schule hat wohl Pause. Freundliche Signale sind weit verbreitet. Der abbiegende LKW tönt in einem sympathischen Ton zum Blinker. Kein grelles Piiiiiiep-Piiiiiep. Das Grün der Ampel wird von einem ‚Kuckuck‘ begleitet. Linienbusse kündigen ihr Abbiegen mit gesprochenen Warnungen an. Schaut man sich die Fußwege auf den großen Straßen an, könnte man meinen, halb Japan ist blind. Überall diese breiten Reihen mit gelben, erhabenen Knöpfen. Irgendwann nerven sie beim Laufen.

Wir biegen in eine überdachte Shopping-Straße ein. Ein kleiner Laden reiht sich an den nächsten. Der Boden ist nicht nur sauber, nein, er glänzt. Wie bei uns gibt es Kleidung und Schuhe, Handyshops, Läden mit Snacks, Markengeschäfte und Cafés.

Ab und zu gibt es auch etwas Außergewöhnliches wie PET PARADISE, innen in weiß und sehr freundlich gestaltet. Hier gibt es Haustiere, richtige, lebende Tiere. In kleinen Boxen hüpfen süße Welpen rum. Präsentiert wie in einer Edelboutique. Solch ein ‚Spielzeug‘ kostet mindestens 2.500€, ja, Euro. Auf den Straßen sieht man immer wieder Frauen mit kleinen Hundewägelchen. An der Leine geführt scheint ein Kleidungsstück für den Hund Pflicht zu sein. Macht ein Hund an einer Straßenlaterne ein kleines Geschäft, spült Frauchen mit einer Wasserflasche nach.

Doch zurück zu unserer Shopping-Straße. Wir gehen eine Etage tiefer. Hier sind kleine Lädchen mit allem Möglichen. Wir suchen einen für mein Hanko. Ich möchte mir mein eigenes Hanko anfertigen lassen. Jeder Japaner hat sein Hanko. Anstelle einer Unterschrift setzt man seinen Stempel. Privatpersonen haben einen recht einfachen, Firmen und Behörden dagegen ein recht aufwendig gearbeitetes. Und die Stempelfarbe ist immer rot. Zum Glück kann Hanna meinen Vornamen in Katakana schreiben, ohne langgezogenes ‚a‘. Ich heiße ‚Matin‘. In einer Stunde soll alles fertig sein.
Hier unten existieren auch andere Geschäfte wie Karten lesen oder Körperbehandlung. Zur Lunch Time winken alle Lokale mit Set-Angeboten, das ist preislich günstiger. Entsprechend lang sind die Schlangen hier. Noch länger sind sie an den Ständen zum Mitnehmen. Doch alles geht hier recht schnell. Im kleinen Lokal isst man nur, lange rumsitzen und das Notebook aufklappen ist völlig daneben. Im Café ist das was ganz anderes.

Wir gehen ins chinesische Viertel. Hier ist auch ein Essenstand neben dem anderen. Über all Lädchen oder Imbissstände, zum Mitnehmen oder vor Ort essen. Die visuellen und auditiven Eindrücke sind erschlagend. Es scheint so, dass jeder Fleck an den kleinen Häusern für Werbung oder Hinweise genutzt wird. Zum Glück kann ich es nicht lesen. Sonst hätte ich noch mehr Fragen an Hanna. Nach einigen Tourifotos sind wir müde. Etwas sitzen, trinken und ein kleiner Snack ist jetzt das Richtige.

Uns gelüstet es nach Dumplies. Der Laden ist winzig. Draußen am Anschlag haben wir uns schon was rausgesucht, innen an der Kasse bestellen wir. Mehr und mehr Speisekarten sind auch mit englischen Angaben. Die Jacke und der Rucksack kommen in kleine Box, die unter dem Stuhl wartet. Auf dem Tisch stehen zwei Becher und eine Kanne mit eiskaltem Wasser. Alle Getränke sind in Japan kalt, auch im Winter. Unser Essen kommt rasch und wir genießen die Pause.

Wir schlendern zurück um mein Hanko abzuholen. Es ist sogar in einem kleinen Schächtelchen mit Stempelkissen. Für den alltäglichen Gebrauch völlig ausreichend. Nach meiner Abreise aus Japan werde ich die Aufenthaltsgenehmigung in meinen Reisepass damit stempeln. Und ich werde in Deutschland auf das nächste Formular auch mein Hanko setzen. :-))

Wir gehen weiter zum Hafen, vorbei an dem Gedenkpark für das große Erdbeben von 1995. Eine alte Uhr ist stummer Zeitzeuge der damaligen Morgenstunde. Am Wasser ist ein Stück vom zerborstene Kai erhalten. Sehr anschaulich, welche Naturgewalten am Werk waren. Auf Schautafeln ist das Ausmaß der Zerstörung des Hafens zu sehen. Massive Lagerhäuser aus Beton, Containerlager, Transportanlagen, entweder eingeknickt oder eingestürzt. Verwerfungen von einem halben Meter überall. Damals liefen 70% des Seehandels über Kōbe . Die Auswirkungen betrafen das ganze Land.

Alles ist nicht nur wieder aufgebaut, vor uns im Meer sind zwei große Inseln entstanden. Der Aushub für die vielen Tunnels des Shinkansen musste ja auch irgendwo hin. Auf der einen Insel ist für die Wissenschaft und Tagung ein neuer Stadtteil entstanden, auf der anderen der Flughafen Kōbe . Verbunden ist alles mit einem Wirrwarr an Straßen und Nähverkehrslinien, meist auf Stelzen. Alles riesig und vielstöckig. Selbst die Sicherungsmaßnahmen der Brückenelemente für mögliche Erdbeben sind beeindruckend. Wie in vielen japanischen Städten gibt es auch hier automatisch fahrende Züge, nicht auf Schienen, sondern mit Busreifen. Auch die beiden Inseln sind so angebunden.

Wir brauchen nun einen Kaffee. An Cafes mangelt es absolut nicht. Das schon im Beitrag ‚Käsekuchen‘ erwähnte ‚Deli Cafe‘ ist preiswert und trotz der Lage am Bahnhof ruhig. Hier werden wir so mit 7€ pro Person einen Pott Kaffee und zwei Teilchen eine gute Rast machen können. Im nahegelegen Green Café bezahlt man für ein Törtchen und ein Kännchen Kaffee 12€. Im Szenesafe ein paar Ecken weiter war ein Apfelsaft mit Eis für €4,50 das günstigste Getränk.

Am späten Nachmittag tauchen sie überall auf, Schüler in Schuluniformen. Hemd und Krawatte, Sacko und Hose. Schülerinnen in einem Art Faltenrock. Angeblich sind die Röcke in Kōbe am längsten. Jede Schule hat ihre eigenen Stoffmuster und Farben. Lediglich die Schuhe sind frei wählbar. Die ganz Kleinen tragen sogar einheitliche Schulhüte und Ranzen.

Wir ruhen uns zu Hause aus, am Abend gehen wir noch mit Freunde Essen. Das gehört in den Beitrag ‚Essen gehen‘

Zwischenbilanz:
Durch den Besuch bei Hanna habe ich keinen typischen Japanurlaub erlebt. Kōbe ist eine guter Ausgangspunkt für viele Tagesausflüge nach Osaka, Kyoto, Hiroschima, Himeji sogar nach Tokyo oder dem Fuji.
Ich bin nicht so auf Hotsopts aus, wollte hauptsächlich den Alltag erleben. Die bisherigen Tage waren ein toller Einstieg in ein Land, das ich bestimmt noch mal besuchen werde.